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Kommt jetzt der Dritte Weltkrieg?

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Kommt jetzt der Dritte Weltkrieg?

Mit dieser Frage will man sich lieber nicht befassen. Für Nordamerikaner und sogar für Westeuropäer ist der Ukrainekrieg weit weg. Insbesondere in Deutschland denkt man in dem einfachen Gegensatz von Krieg und Frieden. In Wirklichkeit lebt die Welt seit vielen Jahrzehnten mit einer Mischung aus beidem. Nach 1945 gab es immer wieder Kriege, sowohl große zwischenstaatliche als auch verheerende Bürgerkriege, an denen die Supermächte mehr oder weniger beteiligt waren. Allerdings versuchten sie stets, eine direkte militärische Konfrontation untereinander zu vermeiden. Beispielsweise zogen die Sowjets 1962 ihre Raketen zur nuklearen Verteidigung Kubas ab. Und während des Vietnamkrieges achteten die USA darauf, im Hafen von Haiphong keine mit Waffen beladenen russischen Schiffe zu bombardieren, obwohl die klassische Militärstrategie vorsieht, den militärischen Gegner – in diesem Fall Nordvietnam – von seinem Nachschub abzuschneiden.

Das ist ziemlich genau, was wir bisher im Ukrainekrieg erleben. Die USA und ihre Verbündeten wollen an die Ukraine keine Waffen liefern, mit denen man das russische Staatsgebiet – und damit den russischen Nachschub – treffen könnte. Desgleichen hat Moskau, wenigstens bisher, darauf verzichtet, den westlichen Nachschub über Polen und Rumänien anzugreifen. Die russischen Angriffe konzentrieren sich auf die zivile Infrastruktur (Strom, Wasser, Heizkraftwerke), um die Ukrainer psychisch zu zermürben und zur Kapitulation zu zwingen. Angesichts des gescheiterten Versuchs, Kiew im Handstreich zu erobern, ehe der Westen eingreifen kann, ist Moskau gezwungen, sich auf einen langen Krieg von schwacher militärischer Intensität einzurichten. Dabei wird sich die russische Logik der Macht, wie sie Zbigniew Brzezinski bereits 1997 beschrieb, nicht ändern: „Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“

Diese Strategie des begrenzten Krieges kann Russland praktisch unbegrenzt durchhalten, weil der Ukraine ein militärischer Sieg verweht bleibt, so lange Moskau mit nuklearen Drohungen operieren kann und solange die NATO nicht zum Dritten Weltkrieg bereit ist. Mourir pour Kiev? ist im Westen schwer vorstellbar. Deshalb gibt es gar keine andere als eine politische Lösung. Die Kernfrage bleibt nur: Wann? Und zu welchem Preis?

Mourir pour Kiev?“ ist im Westen schwer vorstellbar. Deshalb gibt es gar keine andere als eine politische Lösung. Die Kernfrage bleibt nur: Wann? Und zu welchem Preis?

Der Zeitpunkt für eine Friedenslösung dürfte weit in der Zukunft liegen. Moskau strebt keine Kompromisse an, und das Putin-Regime muss als stabil gelten, selbst wenn Putin aus irgend einem Grund die Macht abgeben sollte. Ein wirtschaftlicher Zusammenbruch Russlands, herbeigeführt durch westliche Sanktionen, ist ebenfalls unwahrscheinlich geworden, seit große Nachbarn wie China und Indien, aber auch kleinere wie Nordkorea und Iran, militärische und wirtschaftliche Unterstützung leisten. In Lateinamerika und Afrika hat Russland allerlei Sympathisanten, die weiterhin Handel mit Moskau treiben wollen.

Unter diesen dürfte China am meisten von einem ukrainisch-russischen Dauerkrieg profitieren. Ein geschwächtes Russland dient Beijing als Rohstoffkolonie. China ist bereits zum wichtigsten Importeur geworden ist – selbstverständlich zu Preisen, die weit unter dem Niveau des Weltmarktes liegen. Im Gegenzug kann China, wenn es einen Vorteil darin sieht, allerlei Fertigwaren und vor allem High-Tech-Güter liefern, die Russland für seine Waffenproduktion, aber auch für die übrige Wirtschaft dringen braucht. Und schließlich dient Russland als riesiger strategischer Puffer an Chinas Nordflanke. Somit ist China bereits heute ein Gewinner des Ukrainekrieges.

Unter diesen dürfte China am meisten von einem ukrainisch-russischen Dauerkrieg profitieren. Ein geschwächtes Russland dient Beijing als Rohstoffkolonie.

Westliche Sanktionen gegen China, sollten sie überhaupt verhängt werden, wäre weit weniger wirksam als gegen Russland, denn Russland war für die Weltwirtschaft nur als Rohstoff- und Energielieferant von Bedeutung. China hingegen ist in fast allen Bereichen global aktiv, gleichermaßen als Handelspartner und als Investor. Auf vielen Gebieten der Natur- und Ingenieurwissenschaften liegt es bereits an der Weltspitze und bringt dadurch seine Partner in zunehmende Abhängigkeit, wie es umgekehrt vor langen Jahren einmal Europa und Nordamerika gelang, die Welt mit Hilfe von Spitzentechnologien zu erobern. Im Übrigen könnte China jederzeit einen Krieg gegen Taiwan vom Zaun brechen und der Welt demonstrieren, dass der Westen nicht massiv eingreift. Selbst die amerikanische Pazifikflotte würde rasch an ihre Grenzen stoßen, wenn sie keinen Nuklearkrieg riskieren will. Auch diplomatisch hat der Westen wenig zu bieten, denn nur 14 kleine Staaten haben die Inselrepublik diplomatisch anerkannt. Die übrigen wurden seit den 1970er Jahren durch die Volksrepublik auf die Ein-China-Doktrin verpflichtet.

Neben dem Ukrainekrieg und dem von Xi Jinping angekündigten Angriff auf Taiwan ist Iran der dritte, brandgefährliche Krisenherd, der jederzeit zum Krieg mutieren kann. Dort ist die Urananreicherung offenbar so weit fortgeschritten, dass binnen weniger Wochen einige kriegstaugliche Kernwaffen hergestellt werden können. Die andauernden inneren Unruhen könnten das Mullah-Regime dazu verleiten, seine Herrschaft nun auch atomar abzusichern und dabei das Risiko eines israelischen Militärschlages in Kauf zu nehmen.

Neben dem Ukrainekrieg und dem von Xi Jinping angekündigten Angriff auf Taiwan ist Iran der dritte, brandgefährliche Krisenherd, der jederzeit zum Krieg mutieren kann.

Militärisch ist die Lage eindeutig. Nur ein amerikanisch-israelischer Luftangriff kann jetzt noch verhindern, dass Iran vom Unterstützer terroristischer Privatarmeen quer durch die islamische Welt zur nuklear bewaffneten und somit unangreifbaren Großmacht aufsteigt. Aber damit ist nicht zu rechnen, jedenfalls nicht auf Seiten der USA. Nach Nordkorea dürfte Iran zum zweiten Schurkenstaat werden, der entgegen aller internationalen Verträge und Drohungen aus Washington sowie aus den EU-Staaten den Schritt zur Nuklearmacht schafft.

Seit 43 Jahren versagen im Iran alle geheimdienstlichen regime-change-Versuche des Westens. Desgleichen die diplomatischen Annäherungen, insbesondere durch das Atomabkommen von 2015. Immerhin haben die von Israel geschlossenen Abraham-Verträge für eine Annäherung an wichtige arabische Staaten gesorgt und somit die Möglichkeit eines containment des Mullah-Regimes eröffnet. In die gleiche Richtung geht die jüngst durch China vermittelte Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien. Doch es bleibt fraglich, ob das ausreicht, um Teheran zum Umdenken zu bewegen, zumal das Ansehen des Westen nach dem Rückzug aus Afghanistan im Jahr 2021 tief gesunken ist.

In allen drei Krisenherden spielen Atomwaffen eine Schlüsselrolle. Und überall ist Chinas Weltmachtstreben zu spüren, wobei China eine vergleichsweise günstige Position hat, weil es nicht unter einem vergleichbaren Handlungsdruck steht wie die USA. Auch leidet Beijing nicht unter imperial overstretch, jedenfalls noch nicht.

Während also China und die USA überall stark engagiert sind, hat die Europäische Union geopolitisch wenig zu melden. Sie versucht, sich aus diesem Krisendreieck möglichst fernzuhalten. Aus dem Ukrainekrieg kauft sie sich durch begrenzte Waffenlieferungen und Finanztransfers frei. Für Taiwan will sie sich nicht engagieren. Die Bedrohung durch den Iran berührt peinlich, weil alle Appelle zur Abrüstung, zur Einhaltung der regelbasierten internationalen Ordnung, zur Vermittlung durch internationale Organisationen und zur Einhaltung der Menschenrechte erfolglos blieben. Iran massakriert weiterhin seine Frauen und strebt weiterhin den Bau von Atomwaffen samt Trägersystemen an. Einzig und allein die Drohungen der Mullahs gegen Israel berühren da und dort die europäischen Hauptstädte, wo allerdings der latente Antisemitismus linker Parteien und Intellektueller so stark verbreitet ist, dass mit einer bedingungslosen Unterstützung Israels, inklusive militärischer Gewaltanwendung zu seiner Verteidigung, nicht zu rechnen ist. Somit ist die Europäische Union zwar ein Empire, das sich schrittweise territorial ausdehnt und im Inneren seine Teilstaaten einer zunehmenden zentralen Kontrolle unterwirft. Aber als globaler Akteur taugt sie nicht, wie die drei Krisengebiete deutlich vor Augen führen.

Angesichts dieser Lage müssen die USA dringend überlegen, wie sie ihre globalstrategische Last reduzieren können, um auf dem Gebiet der militärischen Abschreckung weiterhin glaubhaft zu bleiben. Sie müssen sich fragen, auf welches der drei Krisengebiete sie sich konzentrieren wollen, falls sie zum Eingreifen gezwungen werden. Es wäre immer hin möglich, dass China oder der Iran versuchen werden, im Schatten des Ukrainekrieges ihre aggressiven Pläne zu realisieren und damit die Supermacht USA in den weltpolitischen Bankrott zu treiben. Aus diesem Grund wird Washington alles tun, um eine Eskalation des Ukrainekrieges zu vermeiden und notfalls Kiew zu einem Kompromissfrieden zu drängen. Im Hinblick auf den Iran ist zu vermuten, dass sich die USA mit einer Mullah-Atommacht arrangieren werden, wie es im Fall von Pakistan und Nordkorea geschehen ist. Allenfalls wird man Israel zusätzliche Sicherheitsgarantien geben, um einen israelischen Präventivschlag gegen Iran zu verhindern. Wie sich allerdings die USA verhalten werden, falls China Taiwan militärisch unterwirft, ist schwer abzuschätzen. Ein chinesisch-amerikanischer Krieg, 8.000 Kilometer von Hawaii entfernt, ist kaum vorstellbar.

Das heißt, der Dritte Weltkrieg ist nicht sehr wahrscheinlich, aber er bleibt möglich, weil nicht nur in der Ukraine ein Krieg mit weltpolitischen Implikationen tobt, sondern weil auch im Irankonflikt und in der Taiwanfrage jederzeit das gleiche passieren kann – entweder konventionell und regional begrenzt oder mit den globalen Auswirkungen eines Einsatzes von Atomwaffen.

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