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Atomwaffen für Deutschland?

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Atomwaffen für Deutschland?

In Deutschland wird eine merkwürdige Debatte geführt über die Frage, ob das Land eigene Atomwaffen braucht, um Putins Russland abschrecken zu können. Ausgelöst wurde diese Debatte durch eine Wahlkampfrede von Donald Trump am 10. Februar in South Carolina, in der Trump sagte, er werde NATO-Mitglieder, die zu wenig für ihre Verteidigung ausgeben, nicht beschützen, sondern im Gegenteil Russland ermutigen, mit diesen Ländern zu machen, was es wolle. Das ist eine Drohung, die man zur Zeit seiner Präsidentschaft immer wieder gehört hat, ausgenommen die explizite Einladung zu einer russischen Aggression. Seit dem Ende seiner Präsidentschaft hat der inzwischen zweijährige Ukrainekrieg eine neue Lage geschaffen, die sich immer wieder verschärft, weil die republikanische Seite im Kongress versucht, die amerikanischen Waffenlieferungen an Kiew zu stoppen. Insofern ist tatsächlich zu fragen, ob sich die europäischen NATO-Mitglieder, insbesondere die Nicht-Atomwaffen-Staaten, weiterhin auf den nuklearen Schirm der USA verlassen sollen.

Das ist eine Drohung, die man zur Zeit seiner Präsidentschaft immer wieder gehört hat, ausgenommen die explizite Einladung zu einer russischen Aggression.

Dabei ist jedoch der Gedanke einer deutschen atomaren Abschreckung absurd, und das nicht nur, weil Deutschland im Moskauer Vertrag zur deutschen Einheit vom 12. September 1990 auf ABC-Waffen verzichtet hat. Praktisch gesprochen hat Deutschland keinerlei Expertise für den Bau von Kernwaffen und Trägersystemen (Raketen, Atom-U-Boote). In einem Land, das sich vor zivilen Kernkraftwerken fürchtet und sie komplett abgeschaltet hat, wäre der Bau von Raketensilos politisch unmöglich, der Bau von Atom-U-Booten ebenso. Nicht zuletzt fehlt dazu in Deutschland der politische Wille. Seine Armee liegt zwei Jahre nach Putins Angriff auf die Ukraine noch immer am Boden, weil bisher nur 1,4 Prozent des BSP für Verteidigung aufgewendet werden, während es bei den europäischen Atommächten Frankreich und Großbritannien etwa 3 Prozent sind.

In einem Land, das sich vor zivilen Kernkraftwerken fürchtet und sie komplett abgeschaltet hat, wäre der Bau von Raketensilos politisch unmöglich, der Bau von Atom-U-Booten ebenso.

Eine „europäische Abschreckung“ ist ebenso undenkbar, wenn man sich ansieht, wie schwach und unselbständig sich die Europäische Union gegenüber den großen sicherheitspolitischen Herausforderungen verhält – man denke an die russische Aggressionspolitik, den chinesischen Imperialismus und Militarismus und an die Bedrohungen aus der islamischen Welt. Die Probleme von command and control, also der Befehlsgewalt für den Einsatz, wären in der EU ohnehin unlösbar.

Eine „europäische Abschreckung“ ist ebenso undenkbar, wenn man sich ansieht, wie schwach und unselbständig sich die Europäische Union gegenüber den großen sicherheitspolitischen Herausforderungen verhält.

Ausbaufähig ist allein die bestehende nukleare Abschreckung der Briten und Franzosen, weil diese beiden Staaten über eigene Technologien für Sprengköpfe und Trägersysteme verfügen sowie über die notwendigen Entscheidungsstrukturen samt der erforderlichen geheimdienstlichen Beschaffung und Analyse von Informationen. Kurz gesagt, nukleare Abschreckung besteht nicht nur aus einsetzbaren Sprengköpfen, sondern erfordert eine riesige „Peripherie“ von technischen und politischen Fähigkeiten, die allesamt in Deutschland, aber auch in den Institutionen der Europäischen Union, fehlen und nicht realisierbar sind.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat nicht nur das fundamentale Versagen der europäischen Energiepolitik offen gelegt, sondern auch die schmerzliche strategische Fehlleistung der Europäischen Union bei dem Versuch, Großbritannien an den Rand der europäischen Politik zu drängen. Es gibt jedoch Möglichkeiten, die EU-Politik und vor allem die Haltung Deutschlands zu korrigieren. Dazu wird es erforderlich sein, den handelspolitischen Kleinkrieg der EU gegen London einzustellen und gegenüber Paris ein großes Entgegenkommen, beispielsweise in Agrar- und Migrationsfragen, an den Tag zu legen. Auch Deutschland, dem die französische Atompolitik (zivil ebenso wie militärisch) stets ein Dorn im Auge war, muss seine Einstellung grundlegend ändern. Beispielsweise ist es absurd, Frankreich international schwächen zu wollen, indem man ihm den permanenten Sitz  im UN-Sicherheitsrat streitig macht.

Um die nukleare Abschreckung durch Frankreich und Großbritannien zu stärken, müssen finanzielle, militärische und politische Entlastungen erfolgen, wo immer es möglich ist. Auf keinen Fall darf es zu einer Abschaffung oder Reduzierung dieser Atomstreitkräfte kommen, die zumindest in Großbritannien immer wieder gefordert wird und bei einer künftigen Labour-Regierung denkbar wäre – insbesondere nach einer Abspaltung Schottlands, wo die strategischen Atom-U-Boote stationiert sind. Um das zu verhindern, muss die EU erstens die Integrität des britischen Staates stärken, indem sie eindeutig erklärt, dass Schottland oder andere abgetrennte Regionen keinesfalls EU-Mitglieder werden können. Das sollte auch für andere Sezessionsbewegungen (beispielsweise in Spanien und Frankreich) gelten, um damit russische oder chinesische Einflüsse zu blockieren. Zweitens sind zahlreiche EU-Vorschriften zu streichen, die eine finanzielle Bürde darstellen und somit einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben im Weg stehen. Drittens sollten Deutschland und andere Nicht-Nuklearstaaten zusätzliche Verteidigungsaufgaben, beispielsweise an der NATO-Ostgrenze und bei der Raketen- und Drohnenabwehr übernehmen. Und viertens sollten mehr französische und britische Rüstungsgüter „aus dem Regal“ gekauft werden, anstatt immer neue „europäische Rüstungsprojekte“ zu konzipieren, die erst in Jahrzehnten zum Einsatz kommen oder sich als nicht realisierbar erweisen. Gewiss wird man auf bestimmte Waffensysteme aus den USA nicht verzichten können, aber der rasche Einkauf in Paris und London würde deren Rüstungsindustrie stärken und den Verteidigungshaushalt dort entlasten.

Um die nukleare Abschreckung durch Frankreich und Großbritannien zu stärken, müssen finanzielle, militärische und politische Entlastungen erfolgen, wo immer es möglich ist.

Nur mit einem politischen Richtungswechsel dieser Art wird es möglich sein, die französischen und britischen Atomstreitkräfte zu erhalten, auf längere Frist finanzierbar zu machen und eventuelle Erweiterungen und Modernisierungen zu planen. Die Frage, wer am „roten Knopf“ der Freigabe eines Atomschlages sitzt oder in welchen Szenarien ein solcher Einsatz erfolgt, darf nicht im Vordergrund stehen. Es geht hier nicht um eine Art von „Mitbestimmung“ oder „Teilhabe“, sondern um die finanzielle Absicherung der nuklearen Abschreckung im europäischen Teil der NATO. Nach einer 70-jährigen Diskussion um die Frage, wie zuverlässig der Nuklearschirm der USA für die NATO sei, sollten wir uns nicht eine quälende, weil nicht zu beantwortende Frage dieser Art gegenüber Paris und London aufladen. Es muss jetzt rasch und mit den verfügbaren Möglichkeiten gehandelt werden, um die bestehenden Kapazitäten der nuklearen Abschreckung zu erhalten und für die Zukunft finanziell und politisch abzusichern. Um es zu wiederholen, es geht dabei nicht nur um Verteidigungspolitik, sondern um eine grundsätzliche Revision der Politik in Europa, vor allem der Nicht-Nuklearstaaten wie Deutschland.   

Die Frage, wer am „roten Knopf“ der Freigabe eines Atomschlages sitzt oder in welchen Szenarien ein solcher Einsatz erfolgt, darf nicht im Vordergrund stehen.

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