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Deutschland sucht eine neue Sicherheitspolitik

GB Geo-Blog

Deutschland sucht eine neue Sicherheitspolitik

Am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, hielt Bundeskanzler Olaf Scholz eine Rede im Deutschen Bundestag, die in die Geschichte eingehen wird. Er kündigte eine fundamentale Richtungsänderung der deutschen Aussenpolitik an, insbesondere der deutschen Sicherheitspolitik. Dabei müssen die drei Parteien, die Anfang Dezember eine neue Regierung bildeten, eine Reihe von politischen Dogmen aufgeben, mit denen sie seit den 1980er Jahren die deutsche Politik prägten und die großenteils von den konservativ-geführten Regierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (2005-2021) übernommen wurden.

Vor allem die Sozialdemokraten (SPD) und die Grünen lehnten bisher Rüstungsexporte und nukleare Rüstung ab, weshalb sie die NATO und sogar das eigene deutsche Militär als Gefahr für den Weltfrieden betrachteten. Aber auch die dritte Koalitionspartei, die Liberalen, wollten die nukleare Abschreckung der NATO beenden. Diese Positionen finden sich noch im Koalitionsvertrag vom Dezember 2021. Sie passten ebenfalls zur politischen Biographie von Olaf Scholz, der einst den Militärdienst verweigerte und sogar nach Abschluss seines Jurastudiums noch Artikel über die „aggressiv-imperialistische Nato“ publizierte. Als 30-Jähriger bemühte er sich um enge Beziehungen zum kommunistisch-regierten Ostdeutschland (DDR) und verkündete, „dass die wahren Feinde des Friedens (…) im Militär-Industrie-Komplex der USA“ zu suchen seien. Später allerdings änderte sich seine politischen Positionen, und im November 2019 verlor er sogar die Wahl zum SPD-Parteivorsitzenden, weil er als zu konservativ galt.

Sie passten ebenfalls zur politischen Biographie von Olaf Scholz, der einst den Militärdienst verweigerte und sogar nach Abschluss seines Jurastudiums noch Artikel über die „aggressiv-imperialistische Nato“ publizierte.

Nun, angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, erklärte sich die von Scholz geführte Bundesregierung erstens bereit, an die Ukraine Waffen und militärische Ausrüstung zu senden, obwohl bisher das Dogma galt, dass Berlin keine Waffen in Kriegs- oder Konfliktgebiete liefert. Zweitens beteiligt sich die neue Bundesregierung an einschneidenden Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Russland, die absehbare Konsequenzen für die Export-orientierte deutsche Wirtschaft haben werden. Bisher hat Berlin nur unter Zwang der USA derartigen Sanktionen zugestimmt. Allerdings bleiben auch jetzt noch die Importe von Öl, Gas und Kohle aus Russland davon ausgenommen, solange sich auf dem Weltmarkt kein Ersatz findet.

Da 55 Prozent der deutschen Gasimporte, sowie 50 Prozent der Kohleimporte und 35 Prozent der Rohölimporte aus Russland kommen, liegt das Problem auf der Hand. Die Energiepreise steigen rapide auf dem Weltmarkt; China erhöht laufend seine Energie-Importe, und viele ehemalige Lieferanten wie der Iran, Venezuela und Libyen dürfen oder können aus politischen Gründen kaum noch liefern.

Da 55 Prozent der deutschen Gasimporte, sowie 50 Prozent der Kohleimporte und 35 Prozent der Rohölimporte aus Russland kommen, liegt das Problem auf der Hand.

Hinzu kommt das ideologische Dilemma der deutschen Energiewende. Deutschland hat nahezu alle Kernkraftwerke stillgelegt. Ende 2022 sollen die drei letzten Reaktoren vom Netz gehen – von ehemals 19, bei denen es übrigens nie zu nennenswerten Unfällen kam. Und Deutschland will bis 2038 die Stromproduktion aus fossilen Energieträgern abschaffen und vor allem durch Wind- und Solarenergie ersetzen, obwohl es dafür keine realistischen Planungen gibt. Heizungen sollen künftig nur noch elektrisch betrieben werden. Fahrzeuge ebenfalls. Doch jetzt reisen deutsche Politiker, insbesondere der deutsche Wirtschaftsminister aus der Partei der Grünen, durch die Welt, um neue Gas und Öllieferanten zu finden. Auch die Energiegewinnung aus Kohle soll wieder forciert werden.

Drittens kündigte der Bundeskanzler eine verstärkte Präsenz deutscher Soldaten an der östlichen Grenze der NATO an, um gemeinsam mit unseren Alliierten jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes zu verteidigen. Deutschland will sich insbesondere in Litauen, Rumänien und in der Slowakei sowie in der Ostsee und im östlichen Mittelmeer engagieren. Allerdings verfügt das deutsche Militär bei weiten nicht über genügend Personal, Bewaffnung und Ausrüstung, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Vor allem moderne Großgeräte wie Schiffe, Panzer, Hubschrauber und Kampfflugzeuge fehlen oder sind nicht einsatzbereit. Deshalb kündigte Scholz eine beispiellose Aufrüstung an, die durch einen Sonderfond von 100 Milliarden Euro und ein jährliches Budget von zwei Prozent des Bruttosozialproduktes (GNP) erreicht werden soll. Zum Vergleich: Aktuell beträgt der jährliche deutsche Militärhaushalt etwa 47 Milliarden Euro; das sind nur 1,3 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (GNP).

Vor allem moderne Großgeräte wie Schiffe, Panzer, Hubschrauber und Kampfflugzeuge fehlen oder sind nicht einsatzbereit.

Als erster Schritt sollen 35 US-Kampfflugzeuge vom Typ F-35A beschafft werden, um die nukleare Beteiligung Deutschlands an der atomaren Abschreckung der NATO zu sichern. Unter diesem Programm können europäische NATO-Mitglieder amerikanische Atomwaffen zum Einsatz bringen, allerdings nur nach Freigabe durch den amerikanischen Präsidenten.      

Vor dem 24. Februar hätte sich niemand vorstellen können, dass die Außenministerin der Grünen, Annalena Baerbock, sagen würde: Die nukleare Abschreckung der NATO muss glaubhaft bleiben. Deshalb wolle man die F-35 kaufen. Dieser Satz stammt aus einer Rede vom 18. März, in der sie eine deutsche Nationalen Sicherheitsstrategie ankündigte, die unter ihrer Leitung entstehen soll. Keine deutsche Regierung seit 1949 hat jemals ein solches Dokument verfasst, und niemand aus der Partei der Grünen hat sich jemals so eindeutig zur Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung bekannt. Auch der vermeintliche Gegensatz zwischen Freiheit und Sicherheit, der über Jahrzehnte hinweg zu einer immer stärkeren Einschränkung der deutschen Geheimdienste führte, wird jetzt beiseite geschoben, wenn Baerbock sagt: … ich bin überzeugt, unsere Wehrhaftigkeit entscheidet unsere Sicherheit. Unsere Sicherheit für Freiheit für unser Leben. (sic)

Nach diesen Ankündigungen einer fundamentalen Revision der deutschen Sicherheitspolitik, aber auch der Energiepolitik, warten wir nun auf entsprechende Taten. Doch hier kündigen sich erhebliche Probleme an. Wird die Sicherheit der deutschen Energieversorgung tatsächlich prioritär werden gegenüber dem großen Ziel des Klimaschutzes, mit dem die Regierung im Dezember 2021 angetreten ist? Bei Scholz und seinen Ministern ist die Angst groß, dass eine Explosion der Energiepreise oder eine mangelnde Versorgung zu einer deutschen Staatskrise führen könnte. Deshalb zahlt man immer noch Milliarden für Energieimporte aus Russland. Allein im Januar 2022 waren es 2,6 Milliarden Euro. Im Jahr 2021 waren es insgesamt 19,4 Milliarden Euro. 

Nach diesen Ankündigungen einer fundamentalen Revision der deutschen Sicherheitspolitik, aber auch der Energiepolitik, warten wir nun auf entsprechende Taten.

Auch das Programm zur Aufrüstung stößt auf Widerstand. Die Kritiker aus den Regierungsparteien fordern, dass die erhöhten Militärausgaben nicht zu einer Reduzierung der Sozialausgaben und der Ausgaben für die Ökologie-Politik führen dürfen. Zusätzlich müssten die erhöhten Kosten für Benzin, Gas, Heizöl und Strom aus der Staatskasse kompensiert werden, zumindest für die Mehrzahl der Verbraucher.

Damit stellt sich die Frage, wie hoch der Staatshaushalt mit zusätzlichen Ausgaben belastet werden kann, ohne die in der Verfassung vorgeschriebene Begrenzung der Staatsverschuldung (Schuldenbremse) zu überschreiten. Eine Antwort gibt es bisher nicht. Deshalb hat Bundeskanzler Scholz vorgeschlagen, dem Militär einen Sonderfonds von 100 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung zu stellen, der außerhalb (!) des regulären Budgets eingerichtet wird, was nur durch eine Änderung der Verfassung möglich ist. Dafür benötigt die Regierung die Zustimmung von zwei Dritteln aller Parlamentsmitglieder, also von 491 Parlamentariern. Doch die Regierungsseite hat nur 416 Mitglieder, von denen vermutlich viele den Aufrüstungsplänen nicht zustimmen werden. Konkret gesprochen braucht Scholz mindestens 100 Stimmen aus den Reihen der konservativen Opposition.

Das heißt, ohne die Zustimmung der Opposition kann das Programm der Aufrüstung nicht realisiert werden. Oppositionsführer Friedrich Merz hat seine politischen Forderungen im Parlament bereits bekannt gegeben. In den eigenen Reihen werden die Kritiker der neuen Politik an Einfluss gewinnen, sobald konkrete Pläne für Waffenkäufe vorliegen und sobald klar wird, dass sie nicht ohne erhebliche Kürzungen im Staatshaushalt zu finanzieren sind. Das wird vor allem die geplante Dekarbonisierung der Energieversorgung und der Wirtschaft betreffen, die extrem teuer ist und bereits vor dem Ukrainekrieg keine Mehrheit in der Bevölkerung hatte.

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