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Die deutsch-französische Illusion

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Die deutsch-französische Illusion

Was Experten seit langem wissen, wurde jüngst in Berichten des französischen Parlaments bestätigt: Die deutsch-französische Kooperation bei Rüstungsprojekten funktioniert nicht. Das lässt sich an vier Prestige-Projekten aufzeigen. (1) Ein gemeinsam geplantes Kampfflugzeug wird frühestens 2040 bereit stehen. Doch in Berlin gibt es viele, die lieber die amerikanische F-35 kaufen wollen, nicht zuletzt um die deutsche Beteiligung an der NATO-Nuklearverteidigung fortsetzen zu können. (2) Der geplante deutsch-französische Panzer dürfte ebenfalls bis 2040 auf sich warten lassen, obwohl die veralteten deutschen Leopard-Modelle kaum so lang durchhalten werden. In Frankreich müssen die Leclerc-Panzer ersetzt werden, die 1990 bis 2007 produziert wurden. (3) Die modernisierte Version des Airbus-Hubschraubers Tiger hängt ebenfalls in der Luft, zumal auch hier Berlin lieber das amerikanische Apache-Modell beschaffen würde. (4) Wie das Projekt einer europäischen Drohne realisiert werden soll, steht in den Sternen, weil andere Hersteller, vor allem Amerikaner und Israelis, in der Entwicklung weit voraus sind. Und ob dann die Euro-Drohnen, wie angekündigt, 2029 ausgeliefert werden, ist mehr als fraglich.

Die Versuche einer gemeinsamen deutsch-französischen Rüstungsproduktion sind in der Vergangenheit immer wieder gescheitert – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Sie sind aus zwei Gründen schwer zu realisieren. Erstens versucht jede Seite, die eigene Industrie zu bevorzugen und zweitens ist eine Serienproduktion nur rentabel, wenn zusätzliche Käufer gefunden werden. Diese Käufer werden jedoch innerhalb Europas von den USA oder von Grossbritannien mit günstigen Konditionen umworben. Bei Käufern ausserhalb der Europäischen Union besteht die Gefahr einer politischen Blockade in Berlin, weil die neue Bundesregierung noch mehr als die alte darauf besteht, keine Waffen in Krisengebiete oder an nicht-demokratische Regime zu liefern, während es in Paris in dieser Hinsicht wenig Bedenken gibt. Auch Präsident Emmanuel Macron, der in grossen Tönen von einer „europäischen Souveränität“ spricht und die EU gerne zu einem „global player“ stilisiert, kommt an dieser Tatsache nicht vorbei.

Nicht nur die Rüstungsprojekte, sondern auch die übrigen Versuche einer sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin funktionieren nicht. Am ehesten ist die gemeinsame Offiziersausbildung (für wenige, ausgewählte Kandidaten) ein Erfolg, während die 1989 gegründete deutsch-französische Brigade und das 1993 eingerichtete Eurokorps kaum ins Gewicht fallen.

Nicht nur die Rüstungsprojekte, sondern auch die übrigen Versuche einer sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin funktionieren nicht.

Es lässt sich schlichtweg nicht leugnen, dass auf beiden Seiten des Rheins völlig unterschiedlich gedacht wird. Frankreich ist Atommacht und setzt alles daran, damit den Status einer Weltmacht zu erhalten. Dazu gehören auch seine Territorien in Mittelamerika und im Pazifik, die Pflege der Frankophonie sowie sein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat (UNSC). Im Bereich der Geheimdienste, insbesondere bei der technischen Aufklärung und im cyber warfare, orientiert sich Frankreich an den USA und an Großbritannien, nicht an einer künftigen „europäischen Souveränität“, die mit 26 teilweise sehr kleinen Staaten zu teilen wäre. Weltpolitisch zu agieren, heißt in Paris auch, bewaffnete Einsätze zugunsten nationaler Interessen (vor allem in Afrika) zu riskieren und notfalls gezielte Tötungen von Top-Terroristen zu befehlen. Beides ist für Deutschland völlig undenkbar.

Weltpolitisch zu agieren, heißt in Paris auch, bewaffnete Einsätze zugunsten nationaler Interessen (vor allem in Afrika) zu riskieren und notfalls gezielte Tötungen von Top-Terroristen zu befehlen. Beides ist für Deutschland völlig undenkbar.

Dabei ist man in Berlin durchaus machtbewusst, verspricht eine „größere internationale Verantwortung“ und bemühte sich lange Jahre, den Briten und Franzosen ihren ständigen UNSC-Sitz wegzunehmen, um daraus einen europäischen Sitz zu machen. Im 2019 geschlossenen deutsch-französischen Vertrag von Aachen findet sich allerdings eine Klausel, wonach Deutschland selbst einen ständigen Sitz erhalten soll, was nur denkbar wäre, wenn zumindest Japan, Indien und Brasilien, vielleicht auch Nigeria und Ägypten einrücken könnten, da Afrika bislang keinen ständigen Sitz hat. So oder so wäre das Resultat eine Abwertung der französischen und der britischen Position.    

Auch im zivilen Bereich gibt es kaum funktionierende deutsch-französische Großprojekte, zumindest nicht im Rahmen der EU, denn die großen Erfolge von Airbus und Ariane fanden ohne eine Zuständigkeit Brüssels statt. Das Satelliten-System Galileo ist ein Sonderfall, weil es zwar EU-geführt ist, aber bald unter amerikanischen Einfluss geriet und somit nicht als Erfolg einer „europäischen Souveränität“ gelten kann.

Klar ist also, dass die deutsch-französische Rüstungs- und Verteidigungskooperation weder bilateral noch für die Ambitionen der EU einen wirklichen Mehrwert bringt. Dabei fehlt es nicht an Versuchen, die im Elysée-Vertrag von 1963 festgeschriebene deutsch-französische Freundschaft als „Motor“ der europäischen Integration darzustellen. Tatsächlich wurde der bereits erwähnte Vertrag von Aachen geschlossen, um „die Zusammenarbeit in der Europapolitik … zu verstärken“. Doch damit wurde im Grunde genommen der besondere Charakter der deutsch-französischen Beziehungen der EU unterworfen – mit ihren Gesetzen, Regeln, ideologischen Vorgaben (oft als „europäische Werte“ bezeichnet) und seinen bürokratischen Strukturen. Kurzum, die von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer angestrebte Besonderheit der deutsch-französischen Beziehungen wurde aufgegeben.

Doch damit wurde im Grunde genommen der besondere Charakter der deutsch-französischen Beziehungen der EU unterworfen – mit ihren Gesetzen, Regeln, ideologischen Vorgaben (oft als „europäische Werte“ bezeichnet) und seinen bürokratischen Strukturen. Kurzum, die von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer angestrebte Besonderheit der deutsch-französischen Beziehungen wurde aufgegeben.

Das gilt zumindest für die Diplomatie und die Wirtschafts- und die Finanzpolitik im Rahmen der „Schulden- und Bankenunion“. Darüber können auch die zahlreichen gemeinsamen Gremien, regelmäßigen bilateralen Treffen auf politischer Ebene sowie allerlei gemeinsame Institutionen (Botschaften, Delegationen, Institute usf.) nicht hinwegtäuschen.  Allenfalls in den Grenzgebieten entlang des Rheins findet ein intensiver Austausch statt, insbesondere auf den Arbeitsmärkten und bei Konsumgütern.

Etwas anderes konstatiert man bei den kulturellen Beziehungen, wo staatliche Subventionen stets willkommen sind, beispielsweise für den gemeinsamen TV-Sender ARTE. Bei der „Eliten“-Kultur gibt es ein solides historisches Fundament, das alle deutsch-französischen Kriege überlebt hat. Man denke an die klassische Musik und die Philosophie, aber auch an die Naturwissenschaften und die Belletristik. In den Schulen allerdings ist der Fremdsprachenunterricht in Deutsch und Französisch weit zurückgegangen, vor allem zugunsten des Englischen. Die Pop-Kultur orientiert sich überwiegend an den USA. Französische Filme werden heute in Deutschland viel weniger wahrgenommen als noch in den 1960er oder 1970er Jahren. Das gleiche gilt auch umgekehrt – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Heute dominieren die amerikanischen Produktionen samt den großen amerikanischen Streaming-Anbietern wie Netflix, Google Play und Amazon Prime. Ein besonderes deutsch-französisches Verhältnis ist im Bereich der „Massen“-Kultur nicht zu erkennen.

Somit bleiben nur die engen Wirtschaftsbeziehungen, die allerdings von Deutschland dominiert werden und deshalb immer wieder Spannungen hervorrufen. Französische Konzerne verbinden sich lieber mit amerikanischen als mit deutschen. Die französische Exportwirtschaft leidet unter der Euro-Währung und der hohen Steuerlast, während Deutschland weiterhin exportstark bleibt. Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik wird durch die Vorgaben der EU verhindert. Für nationale Initiativen oder bilaterale Strategien – beispielsweise nach dem Modell von „national champions“ – bleibt kein Spielraum, weil Wirtschafts- und Handelspolitik in Brüssel, nicht aber in Berlin oder Paris gemacht wird.

Riesige Unterschiede gibt es in der Energiepolitik, da Frankreich elektrischen Strom zu 70 Prozent aus Kernenergie gewinnt, während Deutschland 2022 die drei letzten Kernkraftwerke (von ursprünglich 19) abschalten wird. Damit wird man noch stärker auf Kohle- und Gaskraftwerke angewiesen sein, die heute ca. 35% des Stroms erzeugen und viel CO2 emittieren. Mit Windrädern lässt sich der 13%-Anteil des bisherigen Atomstroms nicht kompensieren. Man wird deshalb neue Gaskraftwerke brauchen, betrieben vorwiegend mit russischem Erdgas, und Atomstrom aus Frankreich importieren. Im übrigen hat niemand eine Antwort auf die Frage, woher der Strom im Jahr 2050 kommen soll, wenn die Nachfrage voraussichtlich auf das Doppelte steigen wird, unter anderem wegen der kompletten Umstellung auf staatlich subventionierte Elektro-Autos.

An diesen Fragen entzündete sich jüngst ein heftiger deutsch-französischer Streit. Paris will erreichen, dass Atomkraft und Gaskraftwerke künftig von der EU als „klimaschonend“ anerkannt und subventioniert werden. In Berlin will man diesen EU-Beschluss verhindern, obwohl klar ist, dass Präsident Emmanuel Macron längst eine Mehrheit in der EU hinter sich hat. Doch wie soll die neue Regierung in Berlin ihren linken und grünen Anhängern vermitteln, dass ihre große Sehnsucht nach einer nuklearfreien Zukunft in der EU (und in der übrigen Welt) nicht geteilt wird?

Das Ergebnis ist absehbar: Frankreich wird sich durchsetzen, die deutsch-französische Freundschaft wird sich abermals als Illusion erweisen und in Deutschland wird man weiterträumen von einer Welt ohne CO2-Emissionen und ohne Atomkraft. 

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