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Amplituden

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Amplituden

Schoene heile Amplitudenwelt?

Ich habe neulich einen alten Freund in New York wiedergetroffen, den ich seit laengerer Zeit nicht gesehen habe. Ich wusste, dass er an Prostatakrebs litt. Ihm war aber nichts anzusehen, er schien bei ausgezeichneter Gesundheit und in bester Laune zu sein. Voller Optimismus und Tatendrang erzaehlte er mir von seinen neuen Geschaeftsideen. Dabei praegte sein Gesicht jenes Laecheln der sanften Zerstoerung, dem man in New York so oft begegnet. Nach einiger Zeit, und einigen Tropfen Riesling, aenderte sich ganz ploetzlich sein Gesicht und mit ihm seine Stimmung. Er wurde ernst. Sehr ernst. Er habe vor einigen Tagen einen sehr hohen PSA-Wert diagnostiziert bekommen, teilte er mir fast regungslos mit. Ich hatte Angst. Als wir vor nicht allzu langer Zeit telefonierten, war er noch uebergluecklich, dass sein PSA-Wert so niedrig war. Nun der Umschwung aus dem Nichts, ohne Vorwarnung. Er sagte mir beinahe im Fluesterton, dass er jede Minute zusammenbrechen koenne und ins Krankenhaus gebracht werden muesse. Den Rest sprach er nicht aus, aber sein Gesicht verriet seine Gedanken. Er hatte Angst – vor der toedlichen Krankheit…

…vor einem Jahr lebten wir noch in unserer heilen Welt des globalisierten Wohlstandsokzidents. Quasi. Der S&P-Index war hoch, Arbeitslosigkeit war niedrig, und wir fuhren in Urlaub. Keine wahrnehmbaren Probleme. Dann hatten die ersten Banken erste Bilanzprobleme. Kaum wahrnehmbar und so gut wie ohne mediales Breitbandecho. Dann kam Bear Stearns. Dann mehr und mehr und immer mehr und am Ende – der oekonomische Supergau. Wie aus dem Nichts. Auf einmal war der S&P-Index sehr niedrig und Arbeitslosigkeit recht hoch. Der Kredittsunami erfasste unsere selbstgenuegsame Idylle im Eiltempo wie ein Fegefeuer. Ich hatte Angst. Vor der drohenden Depression? Vor den sozialen Folgen der oekonomischen Katastrophe, die unsere Fortschrittsgesellschaft in den hobbesianischen Naturzustand des homo homini lupus zurueckwarf? Vor der Hybris der spaeten Neuzeit? Vor der modernen Unfaehigkeit zur Katharsis? Vor der Angst? Vielleicht all dies und noch mehr…

…an einem friedlichen Wochenende platzt die Nachricht vollkommen unerwartet in unsere hygienische Qualitaetswelt: Die Schweinegrippe ist ausgebrochen, es gab schon die ersten Todesfaelle, und es droht eine Pandemie. Alles geht sehr schnell. Sind es in den USA 40 Faelle am Montag, so zaehlt man bereits um die 3000 nur eine Woche darauf. Die Zahl der Toten schnellt nach oben. Niemand weiss, was die semantisch verkappte toedliche Bedrohung – eine “Grippe” – genau ist, wie schnell sie sich ausbreiten kann und vor allem wie man sich gegen sie schuetzt. Konnten wir uns noch vor 20-30 Jahren auf den epistemologischen Schutz der Unwissenheit berufen, so kann man in einer globalisierten Mediendemokratie Unkenntnis nicht gelten lassen. Wir koennen uns im 24-Stunden-Surfmarathon ueber alles informieren, und dennoch stehen wir am Anfang da wie benommen, wissen nicht, trotz oder wegen der verfuegbaren Informationsflut, was wir gegen die Schweinegrippe tun koennen. Gleichwohl ist diesmal etwas anders als im vorangehenden Zerstoerungsparadigma der Wirtschaftskrise. Als waeren wir mit unserer Reaktion schneller und rationaler. Wir nehmen in unserer Psyche das Tempo der Zerstoerung gewissermassen auf und nehmen die Bedrohung ernster. Haben wir etwa aus dem oekonomischen Trauma etwas gelernt? Angst ist ein guter Lehrmeister. Aber sind wir zugleich nuechterner und selbstkritischer geworden? Oder einfach nur ein wenig phlegmatischer, wenn es um Amplituden geht? Ist unsere Stressresistenz nunmehr konditioniert? Ich habe Angst. Es scheint, als stuenden Angst und Hoffnung in einem intuitiven Spannungsverhaeltnis zueinander. Leben wir in einer Sehnsuchtswelt, die sich insgeheim eine globale Katharsis herbeisehnt, dabei aber in einem konstanten Dialogverhaeltnis steht zur einer allgegenwaertigen Angst, einem sterilen Gefuehl entkleideter Existenz? Haben wir in unserer entgrenzten Lebenserfahrung schlichtweg Angst vor der toedlichen Krankheit?

Wir leben in einer Amplitudenwelt.

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