Die neue Lust auf Deutschland?
So liest sich jedenfalls der Titel des Sterns vom letzten Donnerstag. Allerdings ohne Fragezeichen. Und gleich auf Seite zwei sind vier prachtvolle deutsche Landschaften unter dem Bild von Chefredakteur Andreas Petzold zu sehen: ein Sylter Leuchtturm, Dresden, die Saarschleife und der Forggensee im Allgaeu. Die Rede ist von der neuen Lust der Deutschen, im eigenen Land Urlaub zu machen. Die Deutschen haben eine neue Lust auf Deutschland!
Warum auch nicht? Nehmen Sie zum Beispiel die aktuelle weltweite Studie des Beratungsunternehmens Mercer aus dem Jahr 2009, in der die Lebensqualitaet und Beliebtheit von Grossstaedten rund um den Globus verglichen wird. Kurz gesagt: 7(!) Staedte in der Top Ten sind deutschsprachig! Auf Platz eins ist Wien, gefolgt von Zuerich (2), Genf (3), Duesseldorf (6), Muenchen (7), Frankfurt (8) und Bern (9). Die Studie ist recht breit angelegt und beruecksichtigt unter anderem die politische und gesellschaftliche Situation, das kulturelle Angebot, das Gesundheitssystem sowie Familienfreundlichkeit und Verkehrsanbindung. Hier ist ein Link fuer die Interessierten:
http://realestate.msn.com//listarticle.aspx?cp-documentid=19712020>1=35000
Es ist schon erstaunlich, dass es keine franzoesische, englische oder amerikanische Grossstadt in die Top Ten geschafft hat. Vancouver, Auckland und Sydney rangieren auf Platz 4, 5 und 10. Beruecksichtigt man ferner die deutsche Qualitaetstradition und Qualitaetsliebe des “Made in Germany” in diesem Zusammenhang und nimmt man noch die (fast vergessene) Tatsache hinzu, dass Deutschland zwar nicht mehr die dritt-, aber noch immer die viertgroesste Wirtschaft weltweit (USA: 13,8 Trillionen US Dollar BIP (2007); Japan: 4,4 Trillionen US Dollar BIP (2007); China: 3,5 Trillionen US Dollar BIP (2007); Deutschland: 3,3 Trillionen US Dollar BIP (2007)) und die groesste Wirtschaft in Europa hat, dann kann man sich eigentlich als Deutscher ein wenig zuruecklehnen und sagen: Mit Recht haben die Deutschen eine neue Lust auf Deutschland!
Politisch gesehen kann dieses Gefuehl – in unserer grobkoernigen Analyse jedenfalls – eigentlich nur bestaetigt werden. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes verfuegt Deutschland ueber eine stabile Demokratie mit einem wohldefinierten institutionellen Kern und funktionierenden Organen, mit etablierten Binnen- und Aussenhandelsstrukturen, mit ueber Jahrzehnte organisch gewachsenenen diplomatischen Beziehungen und ohne sicherheitspolitische Bedrohungen. Natuerlich ist das eine sehr allgemeine Analyse und natuerlich hoere ich bereits all jene Stimmen, die sagen: Um Gottes Willen, Herr Olah, schauen Sie sich doch bitte nur die Exporteinbrueche, die Arbeitslosenzahlen und die Sauerlandgruppe an und ueberdenken Sie Ihren Standpunkt! Ohne an diesem Punkt in die Details einzusteigen: Klar, es gibt immer und ueberall Probleme, die man anpacken muss. Gewissermassen ist sogar “alles Leben Problemloesen,” wie das ein bekannter Philosoph einmal (in einem etwas anderen Zusammenhang) formuliert hat. Aber das aendert nichts an der Tatsache, dass Deutschland mit einem gesunden Selbstbewusstsein aufwarten kann, das sich – unter uns gesagt – wahrscheinlich nur wenige Laender erlauben koennen.
Bei genauer Betrachtung ist dieses Selbstbewusstsein seit einigen Jahren auf der politischen Ebene allgegenwaertig (nehmen wir nur das deutsche Verhaeltnis zu Polen als Beispiel), wird aber aus verschiedenen Gruenden nur sehr zurueckhaltend thematisiert. Die USA, zum Beispiel, sind eine Grossmacht, die sich diplomatische Alleingaenge erlauben kann und erlaubt. Deutschland ist keine Grossmacht, und eine der spezifisch deutschen Staerken liegt wohl gerade in der Erkenntnis, dass es keine Grossmacht ist, aber umso mehr ein verlaesslicher Partner. War auf der internationalen Buehne Deutschland 1945 noch die Ursache des Problems, so ist es heute in der Regel Teil der Loesung – eine enorme Entwicklung in (nur) 54 Jahren! Schauen wir uns nur das Vertrauen an, das Deutschland beispielsweise in Afghanistan oder im Nahen Osten entgegengebracht wird. Da flammt immer wieder etwas auf von dem ueber die Jahre etwas verblassten “Made in Germany” der Nachkriegsjahre – dieses “Made in Germany” hat sich im historischen Kontext der Entnazifizierung, der Fussballweltmeisterschaft 1954, des Wirtschaftswunders, des Feminismus, der Studentenrevolution, der RAF oder der deutschen Einheit stets anders und neuartig widergespiegelt, hat aber ueber die Jahrzehnte kaum an Reiz verloren. Und diesem “Made in Germany” scheint vielleicht eine Renaissance bevorzustehen – im eigenen Land wie im Ausland. Wahrscheinlich eine vorsichtige und irgendwo selbstzweiflerische, aber dafuer solide und irgendwo umso selbstbewusstere, eben: deutsche, Renaissance.