Das australische U-Boot-Dilemma Frankreichs
In Frankreich herrscht große Aufregung über die Kündigung eines 56 Milliarden schweren Vertrages zur Lieferung von diesel-elektrischen U-Booten an Australien. Die Gesamtsumme variiert in den Presseberichten, vermutlich weil es einmal um die Erstlieferung, das andere Mal um das langjährige Gesamtpaket geht. Die Dimension dieses “Jahrhundertvertrages” ist gewiss gravierend.
Hinzu kommt der politische Schaden, den Frankreich erleidet, weil es von den USA und Australien überrumpelt und mit einem Schlag ausgebootet wurde. Vergleichbar ist dieser Schock mit Suez 1956, als die Amerikaner ihren NATO-Verbündeten Frankreich und Großbritannien in den Rücken fielen. Frankreich nahm daraufhin Kurs auf eine gaullistische Politik der nuklear bewaffneten Souveränität, während die Briten sich den USA anbiederten und dafür mit dem Sonderstatus des engsten Verbündeten belohnt wurden.
Dazu gehörten zwei noch heute wirksame Abkommen zur Teilhabe an der amerikanischen Technologie für nuklear-getriebene und -bewaffnete U-Boote von 1958 (für den Antrieb) sowie 1962 (für die Bewaffnung mit US-Polaris-Raketen). Heute sind die Briten Teil der neuen, gegen China gerichteten Allianz Australiens mit den USA (AUKUS), die den Hintergrund des U-Boot-Fiaskos bildet. 63 Jahre nach der Teilhabe der Briten soll nun Australien das Privileg einer Lieferung von US-Nukleartechnologie für den U-Boot-Antrieb erhalten. Wenn es dazu kommt, wird es sich um eine historische Wegmarke handeln.
Angesichts der britisch-amerikanischen Verträge von 1958 und 1962 war Frankreich gezwungen, seinen nuklearen U-Boot-Antrieb und die darauf stationierten Interkontinentalraketen selbst zu entwickeln (zu horrenden Kosten!). Gleichwohl näherten sich die Pariser Regierungen später den Amerikanern und Briten in der militärischen Zusammenarbeit wieder stark an, einschließlich dem Wiedereintritt in die NATO-Integration (2009) und anderer Kooperationsformate. Mit wenigen Unterschieden erreichte man das ursprünglich von de Gaulle verfolgte Ziel einer militärisch-strategischen Partnerschaft mit den USA “auf Augenhöhe” zu den Briten. Mit den Briten kam es sogar zu einer engen Zusammenarbeit im Bereich der See-gestützten Nuklearstreitkräfte. Vielleicht liegt hier der Grund, warum Präsident Emmanuel Macron jetzt, anlässlich des U-Boot-Fiaskos, seine Botschafter nur aus Washington und Canberra, nicht jedoch aus London zurückrief.
Insgesamt sind die militärischen und politischen Hintergründe noch reichlich unklar. Wer hat die AUKUS-Verhandlungen initiiert? Wann? Mit welchen Argumenten? Warum wurde London eingebunden, Paris jedoch nicht, obgleich es durch seine Überseeterritorien im Pazifikraum von der Konfrontation mit China unmittelbar betroffen ist?
Insgesamt sind die militärischen und politischen Hintergründe noch reichlich unklar. Wer hat die AUKUS-Verhandlungen initiiert? Wann? Warum wurde London eingebunden, Paris jedoch nicht, obgleich es durch seine Überseeterritorien im Pazifikraum von der Konfrontation mit China unmittelbar betroffen ist?
Falls die USA federführend waren, ist der “Verrat” an Frankreich schon heftig genug. Aber die Beteiligung der Briten ist besonders delikat. Wird die nukleare Zusammenarbeit mit ihnen Bestand haben? Wenn nicht, bleibt die französische Nuklearabschreckung wieder so isoliert wie zu Zeiten von Charles de Gaulle? Wenn sich die Briten fortan ins Schlepptau der Amerikaner nehmen lassen, was bedeutet das für die NATO und für die europäische Sicherheitspolitik, einschließlich der Zusammenarbeit in der Cyber-Abwehr und bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus?
Offensichtlich hängt dieser Schritt mit der in London jüngst verkündeten Doktrin des “Global Britain” zusammen. Londons Sicherheitspolitik soll nicht mehr europäisch, sondern global ausgerichtet sein. Damit würde London als Großmacht auf die Weltbühne zurückkehren, von der es sich durch sein stark geschrumpftes Militär, vor allem bei der nuklearen Abschreckung, und durch seine Verweigerung einer Syrien-Intervention fast schon abgemeldet hatte. Frankreich hingegen muss nun sehen, wie es ohne großen westlichen Partner überhaupt noch global agieren kann.
Wenn wir einmal die USA beiseite lassen, die von den Präsidenten Obama und Trump bis heute zu Biden wenig Rücksicht auf die NATO-Partner genommen haben (man denke an den übereilten, chaotischen Rückzug aus Afghanistan oder die wild um sich schlagende, unkoordinierte Washingtoner Sanktionspolitik) – so ist die britische Politik gegenüber Frankreich von einer brutalen Härte, die man in der Öffentlichkeit nicht erwartet hatte. Wie ist das zu erklären?
So ist die britische Politik gegenüber Frankreich von einer brutalen Härte, die man in der Öffentlichkeit nicht erwartet hatte. Wie ist das zu erklären?
An dieser Stelle gilt es, etwas in den Blick zu nehmen, das in der deutschen Presse, aber auch in Frankreich, peinlichst vermieden wird: nämlich den Brexit. Könnte es sein, dass der britische Premierminister Boris Johnson damit seinen Rivalen Macron bestrafen will für seine feindselige, ebenfalls brutale Haltung während der Brexit-Verhandlungen und danach? Macron war innerhalb der EU der große Scharfmacher, wenn es darum ging, die Briten für ihren “Verrat” an der EU (samt ihrer Ideologie der “immer engeren Union”) zu bestrafen und sie um jeden Preis aus der EU hinauszudrängen, um dann selbst eine Führungsrolle in der “bereinigten” EU zu übernehmen. Macron sprach sogar von einer “europäischen Souveränität”, der er die französische Souveränität bedenkenlos opfern wollte. Vieles von seiner Rhetorik richtete sich gegen “das perfide Albion”, das man endgültig in Europa isolieren, vielleicht sogar durch eine Abspaltung Schottlands dauerhaft deklassieren wollte.
Nun muss Macron den Preis für seine Arroganz und seine fehlgeleitete Europa-Strategie zahlen, denn in der EU findet die weltpolitische Ambition Frankreichs sowie die französische Nuklearstreitmacht keinen Rückhalt, am wenigsten in Deutschland. Eine deutsch-französische Militärallianz, separat oder als Kern einer globalen EU-Strategie, ist allein schon deshalb eine Illusion. Sie ist es auch, weil Deutschland militärisch fast am Boden liegt und weil hier der Wille für eine Umkehr in der Sicherheitspolitik fehlt. Mit wem also soll Frankreich in der Zukunft global agieren?
Eine deutsch-französische Militärallianz, separat oder als Kern einer globalen EU-Strategie, ist allein schon deshalb eine Illusion.
Es wird für Frankreich keinen anderen Weg geben, als sich mit den Angelsachsen zu versöhnen und wenigstens als Juniorpartner in die neue Pazifikallianz einzutreten. Vielleicht kann man zur Partnerschaft mit den Briten zurückkehren und von den Amerikanern (und Australiern) eine gewisse Kompensation für den entgangenen U-Boot-Auftrag einfordern. So oder so muss Macron begreifen, dass der Brexit den französischen Interessen fundamental schadet und aus französischer Perspektive nie hätte stattfinden dürfen. Eine europäische Kompensation für das Australien-Geschäft ist jedenfalls wertlos und sollte aus dem Reich der Träume schnellstens verbannt werden. Je eher, desto besser für Frankreich und übrigens auch für seine europäischen Freunde.