Koreas Kuehler Krieg
Vor 20 Jahren ist er beendet worden, so steht es in den Annalen — der Kalte Krieg. Und mit ihm ist eine bipolare Welt zusammengebrochen, die die Erde fuer ein halbes Jahrhundert nicht nur bestimmt, sondern in staendiger Angst vor einer nuklearen Globalkonfrontation gehalten hat.
Durch die europaeische Linse betrachtet kann man wohl ohne weiteres sagen, dass die Annalen recht haben. Die wesentlichen Ereignisse, die zum Zusammenbruch der Sowjetunion und des sogenannten Ostblocks gefuehrt haben, fanden in Mitteleuropa statt, und der Fall der Berliner Mauer — und mit ihm die deutsche Wiedervereinigung — ist zum Symbol dieser Ereigniskette geworden.
Aber schauen wir doch fuer einen Moment nach Asien: Was sich in Europa fast 30 Jahre lang als ein Ost-West-Trennwall manifestierte, wurde in Korea unter aehnlichen Vorzeichen, allerdings in Nord-Sued-Richtung errichtet. Als Japan 1945 kapitulierte, ging in Korea ein Freudenschrei durch alle Strassen, denn die im Lande verhasste japanische Besatzung war beendet. Wenn man durch Seoul spaziert, sieht man ueberall Spuren, die auf das historisch schwierige koreanisch-japanische Verhaeltnis hinweisen — ob es die am Ende des 16. Jahrhunderts durch japanische Truppen niedergebrannten Koenigspalaeste der Joseon-Dynastie, das im 20. Jahrhundert unter japanischer Federfuehrung auf wenig majestaetische Weise beendete koreanische Koenigreich oder schlichtweg die von Japan anbefohlene Umwandlung eines koeniglichen Gartens in einen Zoo sind. Also, die Freude war gross, als die japanischen Truppen 1945 im Herbst das Land verliessen. Danach rueckten aber, quasi im fliegenden Wechsel, sowjetische Truppen in den Norden des Landes ein, waehrend der Sueden in den Einflussbereich der USA fiel. Es dauerte nicht lang, bis im Norden kommunistische Institutionen installiert wurden und es zu einer De-Facto-Teilung des Landes kam, das sich eben erst von der japanischen Besatzung zu erholen gedachte.
Sogar aus der historischen Erfahrung des 20. Jahrhunderts heraus ist es rueckblickend kaum zu glauben, dass bereits fuenf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Absprache mit der sowjetischen Fuehrung, Nordkorea Suedkorea angriff und es zum erbitterten Koreakrieg kam, der erst 1953 endete. Um dies kurz in Erinnerung zu rufen: Der Koreakrieg hatte immense globale Bedeutung, waren doch unter anderem drei Weltmaechte beteiligt — von Anfang an die Sowjetunion, die dem Norden militaerische Unterstuetzung gewaehrte, dann die USA, die unter dem Segen der UNO Suedkorea beistanden und massgeblich an der Incheon-Gegenoffensive gegen den Norden beteiligt waren und schliesslich China, das auf der Seite Nordkoreas in den Krieg eingriff. Der Kalte Krieg wurde auf einmal eisig kalt: Ein Land, das gerade erst 1945 seine “Befreiung” feierte, wurde wenige Jahre spaeter geteilt und quasi zum ideologischen Spielball der bipolaren Konfrontation gemacht. Seoul und Pjoenjang waren insoweit wie Westberlin und Ostberlin. Ein Land, zwei Systeme — allerdings mit der Betonung nicht auf “ein Land” (wie dies fuer Deng Xiao Pings Losung fuer die Oeffnung Chinas gilt), sondern auf “zwei Systeme.”
Aber wenn man diesen Vergleich schon wagt, muss man, denke ich, hinzufuegen, dass es Korea in mindestens zwei Hinsichten haerter traf als Deutschland:
Zum einen wurde Korea nicht nur zum ideologischen, sondern auch zum militaerischen Schauplatz des Kalten Krieges. In Seouls War Memorial Museum kann man das Leiden wie auch das kollektive Trauma des Koreakrieges hautnah miterleben. Drei Jahre lang wurde Blut vergossen, wurden Staedte und Haeuser zerstoert und kaempften Koreaner gegen Koreaner. Vor dem Museum steht ein Denkmal, das einen Suedkoreaner in Uniform zeigt, wie er seinen Bruder in nordkoreanischer Uniform umarmt.
Zum anderen ist die Teilung nicht vorbei! Deutschland wurde vor 20 Jahren wiedervereinigt — Suedkorea lebt immer noch Seite an Seite mit Nordkorea. Vor einigen Wochen sah ich einen Kurzfilm bei einer Festveranstaltung des American Council on Germany, in dem historische Aufnahmen von Berlin gezeigt wurden — die Errichtung der Mauer, der beruehmt gewordene Soldat, der vom Osten in den Westen rennt, Kennedys “Ich bin ein Berliner,” Reagans “Tear down the wall” und uebergluecklich sich umarmende Menschen nach dem Fall der Mauer. Einen solchen Film koennen sich Koreaner derzeit nur ertraeumen. Die Realitaet wird hingegen von der Angst vor Pjoenjang beherrscht — auch und gerade in diesen Tagen.
Aus der koreanischen Perspektive ging der globale Kalte Krieg in eine regionale bipolare Konfrontation ueber, dessen Dauer nicht vorhersehbar ist. Daran aendert auch nichts, dass Suedkorea in den letzten 40 Jahren eine einmalige wirtschaftliche Erfolgsgeschichte hingelegt hat, 1988 Gastgeber wundervoller olympischer Sommerspiele war und den UN-Generalsekretaer stellt. Im Jahr 2394, zum Milleneumsfest der Stadt, wird in Seoul eine Gedenkbuechse mit Artefakten ausgegraben, die 1994 zum 600. Geburtstag der Stadt feierlich im Boden versenkt wurde. Auf der Widmungsplakette hat der damalige Buergermeister eine Reihe von Visionen fuer seine Stadt eingraviert, die sich bis 2394 hoffentlich erfuellt haben sollen — darunter ist auch der Wunsch nach einem vereinten Korea.
Ist der Kalte Krieg nun zu Ende? Das kommt wohl darauf an, wen man fragt. Ein Land, zwei Systeme — eine Frage, zwei Antworten.